DAKAR – Senegal
Daten: 17. Februar – 17. März 2020
Künstler: Nika Schmitt, Martin Tornow + Ismaël Adramé Coly, Anna K. Wane
Mentoren: Marion Louisgrand Sylla (Dakar) + Stefan Rummel (city sound artist bonn 2014)
Events: 21st February – Project Presentation, 7pm @ Kër Thiossane
13th + 14th March – Open Studio @ Kër Thiossane
Partner Organisation / Residency place: Kër Thiossane, Dakar
Supporter: Goethe-Institut Senegal
ampeltassen, kalebassen, plastikflaschen
eine Einführung von Stefan Rummel
nach einem kurzen aufenthalt in lissabon landen wir weit nach mitternacht auf dem flughafen dakar-blaise diagne. am ausgang findet uns der fahrer. wir quetschen mit aller mühe unser gepäck in den kofferraum und fahren los. die fahrt geht durch eine sehr dunkle steppe, ab und zu überholt uns ein lkw oder mini-vans mit dunklen fensterscheiben. nach einer knappen stunde erreichen wir kër thiossane in sicap liberté. alle gehen schlafen. gegen 4 uhr morgens erwache ich aufgrund undefinierbarer eindringlicher gesänge die über dem ganzen viertel, der ganzen stadt liegen – so empfinde ich das im halbschlaf. die gesänge werden um 6 uhr von einem immer wiederkehrenden vogelgesang abgelöst, der mich milde stimmt.
um 11 uhr dann die erste besprechung mit allen beteiligten feldforschern der urbanen klangphänomene in dakar.
webstuhl im wüstensand, hunde im hof, katze auf strohdach.
drei beispiele für exkursionen…
Sicap Liberté
am nächsten tag unternehmen wir erste spaziergänge durch den stadtteil auf vorwiegend sandigen straßen und wegen. die farbe saftiges grün wie man sie in der erinnerung und auf fotos aus der heimat kennt kommt hier nicht vor, auch weil die pflanzen staubbedeckt sind. wir besuchen den garten, jardin jet d’eau, den die betreiber von kër theossane in zusammenarbeit mit den lokalen behörden geschaffen haben, eine bewachsene kuppel aus eisenstäben im zentrum mit sitzmöglichkeiten im schatten, bestimmt die anlage. um diese kuppel herum sind kleine beete angelegt. der boden ist sehr trocken, bewässert wird mit einem gartenschlauch. zwischen den häusern, auf dem fast knöcheltiefen sand gegenüber spielen kinder fußball. der bolzende und schreiende schall wird von den häusern reflektiert. gleich um die ecke befindet sich die öffentliche bibliothek die aber leider seit langem geschlossen bleibt, angeblich besitzt eine person den schlüssel, deshalb besuchen wir kurz die grundschule nebenan. anschliessend essen wir in dem kleinen restaurant hinterm garten. dabei sitzen wir im freien neben dem handabwasch der schüsseln und teller. die farbe des spülwassers macht mich stutzig, aber das essen ist ziemlich gut und schadenfrei verdaut. die „terrasse“ hat einen plastiktisch und vier platikstühle und eine holzbank, das enssemble teilen wir uns mit den einheimischen ebenso wie das trinkwasser. nebenan werden in workshops metallzäune geschweißt und geflext und in den anliegenden kleinen läden werden zur straße hin dinge des täglichen bedarfs verkauft, nähzeug, schuhe und geschirr. in den nächsten tagen weitere spaziergänge durch das viertel. wir entfernen uns nun immer weiter von unserem zentrum (kër thiossane), verlassen das sicap viertel und besuchen eine große schlosserei. die meisten arbeiten finden unter freiem himmel statt. am eingang sitzen vier skeptische männer auf einer bank, die sich über unseren besuch und unser vorhaben wundern. es werden einige tonaufnahmen gemacht, wobei uns ein arbeiter spaßeshalber folgt und uns mit seinem smartphone filmt. danach gehen wir durch den markt und durch enge gassen, eine davon in fast mediterraner anmutung…, mit spielenden kindern und gemüse putzenden frauen, männern die vor offenen kühlerhauben stehen und sich beraten.
Medina
treffen mit zwei lokalen persönlichkeiten aus der music/street-art offscene. wir treffen uns an der küste, am strand liegen die langen bunten holzboote (pirogen) der einheimischen fischer. ein wilder mix aus material und gerüchen. „mud boy“ stellt uns, selbstbewusst auf inline skates unterwegs, sein altes viertel vor, zusammen mit „10.000 problem“, zu fuß, mit hund. wir sehen die ersten murals (bunt-figürlich-themenbezogen) der häuserwände an der stark befahrenen ozean road an. er zeigt uns auch die arbeiten des im viertel bekannten „zeichners“, auch in dessen hauseingang. schwarz-weiße zeichnungen aus kippenstummeln, kohleresten, etc. meist figuren, köpfe und löwen. düster. paar aufnahmen werden gemacht, aber es ist eher was fürs auge und die nase, normaler stadtlärm. wir betreten eine markthalle (marche tilene ?..) und treffen auf eine million fliegen, 300 menschen: händler, käufer, 4 sonic explorers und ein mentor und mud boy, 10.000 problem und sein hund vor dem alle angst haben. der geruchssinn wird aufs ärgste geprüft, die augen sehen totes fleisch und leblosen fisch. keine aufnahmen hier, weil wir zügig durchlaufen. um so einen ort zu verstehen muss man all seine sinne adaptieren.
Weberei
wir besuchen eine weberei die einer optimistischen Unternehmerin gehört, sie produziert möbel und stoffe. am eingang empfangen uns wunderbare menschen. eine junge frau namens lika und ihr graumelierter chef. die art von chef die jedem betrieb gut tut. vor uns liegt die schreinerei. die männer tragen ausnahmslos staubschutzmasken, wir nehmen später auf. oben im ersten stock stehen die manuell zu bedienenden webmaschinen, deren klacken und surren wir aufnehmen. keiner stört sich an unserem handeln. ab und zu kommt ein mann mit nacktem oberkörper unbekümmert aus dem waschraum, unterwegs nach hause oder zum webstuhl. hier entstehen schöne aufnahmen. die beiden führen uns noch in eine andere halle auf der anderen straßenseite. hier finden wir die großen elektrisch betriebenen webmaschinen mit lochkartensystem. einige spanische modelle aus den 70/80/90ern. die maschinen stehen für heute eigentlich still aber die arbeiter performen für uns ein paar runden mit ihren stählernen instrumenten. ich fühle mich in eine andere zeit versetzt. am ausgang kocht ein man auf einer gasflamme tee und in der halle daneben turnt ein einzelner chinese über berge von karton und lebensmitteldosen.
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warenaustausch, ideenaustausch, kulturaustausch
experimentelle klangarbeiten im open studio. wie reagiert man auf das erlebte, die stadtgeräusche und die optischen eindrücke? besinnt man sich auf bewehrtes oder sucht man nach neuen techniken, nach anderer formensprache und unbekannten klängen?
die stipendiaten haben sich weitestgehend darauf beschränkt neues auszuprobieren.
gemeinsames erkunden der stadt, märkte etc., suche nach materialien. gemeinsame ausflüge.
wenn man sich für vier wochen an einen ort wie dakar im senegal begibt, sollte man darüber nachdenken wie man sich auf das fremde einlässt, sich adaptiert und nach dem unbekannten sucht. jedes land, jede stadt hat seine eigenen sehgewohnheiten, gerüche und geräusche (geräuschkulissen). manchmal ähneln diese den dingen die man bereits von anderen orten kennt. deshalb sollte man tiefer hineintauchen, genauer forschen was es mit den klängen vor ort auf sich hat. die stipendiatinnen haben 1-2 wochen damit verbracht sich zu orientieren und darüber nachzudenken mit welchen materialien sie arbeiten möchten, für eine abschließende präsentation im open studio. in der dritten woche wurden dann materialien im studio ausprobiert, damit experimentiert. das schwierige dabei war, sich von gewohnten strategien abzuwenden und neue strategien für den neuen ort zu entwickeln – eine ortsspezifische intervention die sich mit den urbanen klangphänomenen dakar’s auseinandersetzt.
Karima
Direkt am Eingang konnte man Karima’s Arbeit betreten. Der Boden war mit Sand bedeckt. Im Sand lagen gepresste Plastikflaschen, die Karima in der Stadt während ihrer Spaziergänge gefunden hatte. Sie bemerkte die Flaschen, die überall wie vergessen auf den Straßen und Gehwegen lagen und von Autoreifen und Schuhsohlen über einen langen Zeitraum zusammengepresst wurden. Die älteren Flaschen hatten ihre Funktion und Form längst verloren und wirkten wir Fundstücke. Karima simulierte die Geräusche des Pressvorgangs indem sie auf neuere Flaschen trat und diesen Vorgang mit einem Mikrophon und einer Videokamera aufzeichnete. Das Video wurde auf einem Flachbildschirm gezeigt. Karima platzierte eine zweite Arbeit im Jardin Jet d’eau. In der Mitte der kuppelartigen Konstruktion aus dicken Metallstäben und Kletterpflanzen hing ein großes altes Megaphon senkrecht an einer Schnur (wie es in Moscheen zum Einsatz kommt). Die einfache Intervention sollte Besucher, insbesondere Kinder, dazu ermutigen, den Lautsprecher spielerisch anzuschieben. Durch das Schwingen wurden die aufgezeichneten Kinderstimmen die aus dem Trichterlautsprecher klangen in der näheren Umgebung punktuell hörbar.
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Adramé
hatte seine Intervention im hintersten Residenzzimmer des Hofes installiert. Eine Art Hommage an das Landleben im Senegal im Vergleich mit den städtischen Klangphänomenen Dakar’s. Kalebassen und andere Behälter wie Blechtöpfe wurden im Raum verteilt. Aus den mit Wasser gefüllten Kalebassen an der Decke tropfte es in unterschiedlicher Intensität und Geschwindigkeit in die darunter stehenden Behälter, große Wassertröge und Blecheimer. Die Behälter wurden zu Resonanzschalen und reflektierten die Tropfgeräusche in vielfältiger Weise. Eine zusätzliche Stereo-Tonspur mit bearbeiteten Industrieklängen, die Adramé während der Residenz in Dakar aufgenommen hat, wurde mit einem Lautsprecher in den Raum eingespielt, um sich mit den analogen Tropfgeräuschen zu mischen. Ein weiterer versteckter Lautsprecher vor dem Zimmer, neben dem Fenster öffnete die Installation in den Außenraum. Die Besucher konnten so verschiedene Hörpositionen einnehmen, im Raum hörend oder den Raum (vor dem Fenster) hörend.Adramé hatte die Idee für diese Arbeit, als er sein Familienhaus besuchte und das Wasser des Starkregens durch die Decke tropfte.
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Nika
beschäftigte sich in ihrer Arbeit auch mit Kalebassen und Aluminiumschalen. Inspiriert war ihre Arbeit u.a. vom Kreisverkehr (Jet d’Eau) mit dem stillgelegten Brunnen. Sie interessierte sich für Dinge die sich um einen Punkt drehen, wie auch beim Leuchtturm. Zwei Hälften einer Kalebasse wurden über eine Achse mit einem batteriebetriebenen Motor verbunden, um sich automatisch zu bewegen. Die Schalen liefen gegeneinander und verstärkten durch ihre Form die Geräusche der Reibung mit dem Untergrund. Mit ihrem Objekt, das einem kleinen Roboter ähnelt, machte Nika eine Tour durch die Stadt und intervenierte an verschiedenen Orten. Die Interaktion und die Reaktionen der Stadtbewohner sind in einem Video zu sehen.Im Atelier von Kër Theossane zeigte sie eine weitere Arbeit. Von der Decke hing eine sporadisch rotierende Aluminiumschale, die gegen einen selbstgebauten Klöppel stieß. Der Klang reflektierte im Raum und zwei Mikrofone in kleineren Schalen montiert, zeichneten die Windgeräusche und Vibrationen der drehenden Schale auf. Zwei Wandventilatoren drehten sich ebenfalls sporadisch und durchlüfteten den Raum, wobei deren „aufgesetzte Nasen“, aus Lautsprechern, die rudimentären, niedrig frequenten Windgeräusche reproduzierten.
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Martin
interessierte sich für den großen Mangobaum, der den Hof dominiert.
An diesen Baum hängte er senkrecht ein Lautsprecherchassis, das unter einer großen, leeren Wasserflasche sitzt. An der Flasche ist ein Kontaktmikrofon angebracht. Ein weiteres Mikrofon klebte an der metallenen Eingangstür, das das Knarren der Tür erfasste und in den Innenhof übertrug. Unter dem hängenden Lautsprecher stand ein zylinderförmiger Stahlrahmen, der dafür von einem lokalen Metallbauer angefertigt wurde. Hier wurde ein zweiter, gleich großer Lautsprecher eingehängt. Die großen Magnete hingen face to face und stießen sich gegenseitig ab. Martin versuchte das Gleichgewicht zwischen Magnetismus, Wind und Kraft zu finden, um die gesamte Konstruktion in einer endlosen Bewegung zu halten. Die gesamte Situation wurde durch die Komposition von computergenerierten Sounds und bearbeiteten städtischen Klängen aus Dakar unterstützt.
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