Erfahrungsbericht

Die Erfahrungen unserer Reise in den Iran, einem mir bis dato völlig fremden Land, sind in dem Moment, da ich diesen Text schreibe, schon eine Weile her. Trotzdem klingen sie nicht nur nach, sie verändern und entwickeln sich weiter. Eine perspektivische Verschiebung.

Meine Auseinandersetzungen in der Residency galten in erster Linie räumlicher Verortungen: Fragen, die sich insbesondere an die psychologische Qualität architektonischer, stadtplanerischer und sozialer Räume richteten, und wie man sich durch diese Räume bewegt. Denn was mir schnell auffiel, war eine gewisse Differenz, eine Andersartigkeit, etwas Unvertrautes im Vertrauten. Und dieses mir Fremde fiel mir in erster Hinsicht in der Organisation von Raum auf. Private und öffentliche Räume sind beinah gegensätzlich strukturiert und doch überschneiden sie sich ständig. Mit der Zäsur der islamischen Revolution wurden diese Räume tunlichst getrennt: Das private Leben ging weiter, nun hinter verschlossenen Vorhängen. Die Vorhänge in meinem Zimmer waren gar so installiert, dass man sie nicht einmal aufziehen konnte. Bei Tag fahren die Geschäfte ihre Rollläden hoch. So als fehle nun eine Wand, stehen sie zur Straße hin völlig schutzlos geöffnet. Bei Nacht ist dann alles geschlossen und verriegelt, (fast) keine Schaufenster verraten, was hinter den Rollläden verborgen liegt. Es gibt einen regen Einzelhandel, Verbände einzelner Verkäufer derselben Produkte finden sich in ganzen Straßenzügen zusammen. Der berühmte Grand Bazaar gleicht einer Stadt in der Stadt. Ebenen, Abzweigungen und Geschäfte sind ineinander verschachtelt. Gelegentlich verlor ich die Orientierung hier so sehr, dass ich gar nicht mehr wusste, ob ich mich nun in einem Geschäft oder auf der Straße befand. Die Menschen aus Teheran sind mir auf diesen Streifzügen immer unglaublich offen, neugierig und hilfsbereit begegnet. Obwohl man keine Sprache teilt, ist es an der Kommunikation nicht gescheitert. Mehdi, unser wunderbarer Begleiter und Mentor der Gruppe, beschrieb mir einmal Iran als eine Art „Gate“: eine Transitzone, seit je her Akkumulationspunkt für Handel, Politik und Religion zwischen den umliegenden Nachbarländern.

Beschäftigt mit den Fragen der Schnittpunkte öffentlicher und privater Räume bin ich eines Tages gemeinsam mit einer Freundin, Afsun Moshiry, zu verschiedenen städtischen Baustellen gegangen und habe mit ihr die Arbeitsweisen der hauptsächlich afghanischen Gastarbeiter erkundet. Spannend war, dass diese, meist nicht legalen Arbeiter, wie Nomaden von Baustelle zu Baustelle ziehen. Ihr gesamtes Privatleben spielt sich auf der Baustelle ab. Mit einiger Überredungskunst und Neugier konnten wir mit ein paar von Ihnen sprechen, welche uns kurzerhand in ihre (geheimen) Wohn- und Schlafräume einluden. Von Liebesbriefen und auf die Wände gemalten, gildenartigen Zeichen, improvisierten Wohnzimmergarnituren aus Werkstoffen bis zu Gucklöchern zur Straße hin, fanden wir einen ganzen Kosmos einer unsichtbaren Lebenswelt mitten auf der Baustelle.

Ein anderer Besuch der Wüstenstadt Nushabad in der Region Isfahan ist mir ebenfalls besonders eindrücklich im Gedächtnis geblieben. Erst 2006 wurde unter der Stadt eine 4 qkm großes Tunnelsystem entdeckt: Eine weitere, verborgene Stadt aus drei übereinanderliegenden Ebenen mit Lüftungsschächten, geheimen Gängen, Fallen, Fluchtwegen und Kammern, in welchen in Notzuständen das gesamte Leben des Dorfes stattfand. Der Bau dieser circa 1500 Jahre alten Stadt geschah wohl „unsichtbar“: der für die Tunnel und Kammern ausgehobene Lehm wurde gleich für den Bau oberirdischer Gebäude bereitgestellt. Somit entstanden keine sichtbaren Spuren der Arbeiten an dem Bunkersystem.


Arbeitserläuterungen

Eine temporäre Installation in den Wohnräumen der Residency „Kooshk“

Mit Abschluss unserer Residency bei Kooshk haben wir, vier Künstlerinnen und Künstler, verschiedene Bereiche der Stadt bespielt und öffentlich zu einem „Open Studio“ eingeladen. Zu Beginn unserer Zeit in Teheran stellte sich schnell die Frage wie und wo wir arbeiten können. Das gewohnte Setting eines mit Werkzeug ausgestatteten Studios blieb aus und so entschied ich mich die Wohnräume der Residency als Arbeits- und Präsentationsort zu nutzen. Hierfür habe ich drei Orte innerhalb des Hauses gewählt. Da es sich um privaten Raum handelte, durfte ich den Ort nicht öffentlich bekanntgeben. Es wurden daher Freunde von Freunden mündlich eingeladen.

Oliver

In dem Wohnzimmer wurden die Gäste empfangen, es wurden der üblichen iranischen Gastfreundschaft entsprechend Plätzchen und Tee serviert. Auf dem großen, bereits vorhandenen, Flachbildschirm, lief ein einstündiges Video von Oliver dem Hauskater. Man sieht ihn, wie er an verschiedenen Abenden neugierig durch mein Zimmer streift und von Tag zu Tag mit wachsamem Interesse die permanenten Veränderungen erkundet. Das Video zeigt neben dem Kater meine Wohnsituation mit meinen privaten Gegenständen in meinem zum Atelier umgewandelten Schlafraum. Oliver war einst ein Straßenkater und entschied sich aus freien Stücken bei Kooshk zu residieren. Mit seinem Einzug befiel unseren Gastgeberinnen allerdings die Sorge, er sei auf der Straße gefährdet und so durfte er die Residency nicht mehr verlassen. (Was den findigen Kater natürlich nicht davon abhielt, eines Tages doch mithilfe seiner Freunde, welche abends kläglich nach ihm riefen, einen Ausgang über das Dach im Hof und einer Lücke im 4 Meter hohem Zaun zu finden, um seinen nächtlichen Streifzügen nachzugehen. Natürlich kam er immer wieder zurück.)

Ein Experiment

Aus dem Wohnzimmer bat ich jeweils zwei Gäste in den Hof, um an einem kleinen Experiment teilzunehmen. Zwei Tische mit zwei Stühlen, die Rücken zueinander, standen am Ende des hauseigenen Hofs jeweils in den zwei Ecken. Das mit einem Stoff behangene Baldachin habe ich an diesen Stellen hinuntergelassen, um die Arbeitsbereiche zu dem Rest des Hofs zu trennen und gleichzeitig den Himmel über den Tischen frei zu geben. Auf den Tischen lagen jeweils 100 Zigarettenfilter auf einem Haufen mit der folgenden in Farsi und Englisch übersetzten Aufgabe: „Try to make one circle, with all filters standing upright next to each other. In any case, never touch or move a filter twice. When all filters are standing, the experiment is over. Please leave the table as is, and come back inside.”

Das Zimmer

Sobald die Gäste zurück ins Haus kamen, brachte ich sie über den Treppenaufgang in meinen Schlafraum und führte die nächsten zwei in den Hof. Die Einrichtung meines Zimmers war soweit zerlegt wie es die Möbelstücke ohne Werkzeug erlaubten. Eine reversible Verschiebung des Interieurs: Ihrer Funktionen entledigt und als Material entblößt, wurden die Möbelelemente neu zusammengefügt. Es entstand die Miniaturkulisse einer stadtähnlichen Landschaft, bewohnt durch zwei hölzerne Figuren, welche aus der Gardinenhalterung stammten. Die Konstruktionen richteten sich nach strengen vertikalen und horizontalen Achsen und standen dabei unter materieller Spannung, oder waren bloß balanciert. Ein Turm aus hölzernen Seitenflanken der Betten, zwei Schubladen und Bettdecken hält sich ausschließlich durch die Kraft des gequetschten Futters. Am Ende des Zimmers gelangte man auf den Balkon und zu den an die Brüstung gestellten Bettlehnen. Der Ausblick gab den Blick über den stoffbehangenen Hof frei. Man sah die zwei Lücken, an welchen das Baldachin für das Experiment geöffnet war, und konnte über dem hohen aus Holzlatten gereihten Zaun den Horizont der Stadt erblicken.